Benny Andersson: "Das letzte Wort hat das Publikum"
Mit Abba wurde Benny Andersson weltberühmt. Heute spielt er manchmal vor Gästen in seinem Hotel. Ein Gespräch über Abschied
DIE ZEIT: Herr Andersson, egal wie tief man gräbt, man findet einfach keine Skandale in der Karriere der Band Abba. Haben Sie tatsächlich nie ein Hotelzimmer zertrümmert und Drogenorgien gefeiert? Oder wurden Sie nur einfach nicht erwischt?
Benny Andersson: Nein, wir haben wirklich nichts gemacht. Wir vier haben ein ganz normales Leben gelebt. Wir gingen morgens zur Arbeit, schrieben Musik, spielten die im Studio ein, und abends haben wir uns um unsere Familien gekümmert. Sie werden auf keine Abba-Skandale stoßen, tut mir leid.
ZEIT: Sie sind jetzt siebzig, arbeiten Sie heute immer noch genauso diszipliniert wie damals?
Andersson: Ja, ich gehe jeden Tag in mein Büro in Stockholm, wo ich mich unter der Woche von zehn bis siebzehn Uhr um meine Angelegenheiten kümmere. Obendrein versuche ich auch täglich noch Musik zu schreiben, nur wenn mir mal der Kopf schwirrt, mache ich einen Spaziergang. Dann geht es wieder ins Büro, und pünktlich um siebzehn Uhr gehe ich nach Hause, dann ist Feierabend. Wie damals.
ZEIT: Welche großen Abba-Songs sind Ihnen nach Feierabend eingefallen?
Andersson: Kein einziger, so arbeite ich nicht. Noch nie, wirklich nie ist mir ein Song mitten in der Nacht durch den Kopf gerauscht oder während ich mit dem Hund draußen war. Mir fallen Melodien nicht einfach so in den Schoß. Ich muss spielen, spielen, spielen auf der Suche nach frischer Musik. Meistens produziere ich auf die Art viel Müll, aber manchmal ist eben auch etwas Brauchbares dabei. Ich habe dieses Grundvertrauen: Es kommt schon was, das mir gefällt, wenn ich nur Geduld habe. Das mag dann nur ein Fragment sein. Aber oft reicht es, um darauf aufzubauen.
ZEIT: Stimmt es, dass Sie nie Musikunterricht hatten und Autodidakt sind?
Andersson: Ja. Manchmal vermisse ich dieses Basiswissen. Ich könnte mich jetzt nicht mit den Noten von Debussys Clair de Lune ans Klavier setzen und präzise spielen, was da steht. Nach Gehör könnte ich es irgendwie spielen, doch dabei würde ich der komplexen Vorlage niemals gerecht. Aber die Grundlagen noch mal richtig zu lernen, dafür fühle ich mich zu alt. Dafür habe ich einfach nicht mehr genug Zeit.
ZEIT: Das Interesse an Popmusik haben Sie angeblich auch verloren ...
Andersson: Stimmt nicht! Ich war grad erst mit meinen beiden Enkelinnen bei einem Konzert von Justin Bieber.
ZEIT: Oh. Wie haben die Bieber-Fans reagiert?
Andersson: Da hat mich kein Mensch erkannt. Die waren alle zwischen neun und sechzehn Jahren alt, woher sollten die mich kennen? Und falls die mich erkannt hätten, wäre ich ihnen wahrscheinlich egal gewesen. Bei Justin Bieber war ich einfach ein Opa mit Enkelkindern.
ZEIT: Hat Ihnen das Konzert gefallen?
Andersson: Das hat mir sogar sehr gut gefallen! Ich war wirklich verblüfft, dass Justin Bieber so ein kompetenter Musiker ist. Er kann singen, spielte sehr gut Gitarre und überzeugte auch am Schlagzeug. Das hätte ich nicht vermutet. Er ist eindeutig keine Figur, die von der Industrie erfunden wurde.
ZEIT: Aber er scheint zunehmend unter seinem Ruhm zu leiden. Er wirkt oft, als mache es ihm gar keinen Spaß, so eine öffentliche Person zu sein.
Andersson: Was ich gut nachvollziehen kann. Er ist noch so jung und völlig allein, das macht den Job viel anstrengender. Wie es wirklich ist, in dieser Rolle zu stecken, darüber kann er sich ja nur mit sehr wenigen Menschen austauschen, die wirklich eine Ahnung davon haben, was er da erlebt. Ich war immer froh, Teil einer Band zu sein. Wir waren zu viert, und innerhalb dieses Quartetts standen die Frauen Frida und Agnetha im Rampenlicht, sie waren die Gesichter von Abba. Sie mussten die Songs singen und wurden von den Massen angestarrt. Björn und ich blieben im Schatten. Stattdessen waren wir für die Musik verantwortlich. Ich sehe das immer noch als faire Arbeitsteilung.
"Das letzte Wort hat das Publikum"
Seite 2/2: Der letzte gemeinsame Song
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ZEIT: Was halten Sie von dem Klischee, dass schwedische Popmusik ganz besonders melancholisch ist?
Andersson: Da ist etwas dran. Alle schwedische Musik lässt sich auf die Tradition unserer alten Volkslieder zurückführen, und die sind ziemlich düster. Wir haben wenig Sonne in unserem Land, und die Dunkelheit hält lange an, das schlägt sich auch in der Kunst nieder. Wer einen Winter in Schweden verbracht hat, weiß, was ich meine. Euphorisch wird man da nicht. Mich hat das auch beeinflusst.
ZEIT: The Day Before You Came, den melancholischsten aller Abba-Songs, haben Sie nun für Ihr Soloalbum Piano neu interpretiert als Klavierstück. Stimmt es, dass das Original der letzte Song ist, den Abba im Studio eingespielt haben?
Andersson: Ja, das war unser letzter Song. Ich hänge auch daran, weil ich den Text fantastisch finde.
ZEIT: "I must have lit my seventh cigarette at half past two / And at the time I never even noticed I was blue." Das nimmt einen schon mit.
Andersson: Da denkt jemand über sein Leben nach, das in Ordnung, aber auch ein wenig langweilig war, bis irgendwann jemand Ungewöhnliches, Neues aufgetaucht ist. Ich mag auch die Musik und hatte Lust, mich noch einmal mit ihr auseinanderzusetzen. Auch um herauszufinden, wie die Musik ohne den Text dasteht. Dabei war ich mir überhaupt nicht sicher, ob das funktionieren würde. Ich bin immer noch so nervös, weil ich nicht genau weiß, was dem Publikum gefällt.
ZEIT: Das meinen Sie nicht im Ernst.
Andersson: Doch! Und zu Recht! Als vor fast zwanzig Jahren dieses Mamma Mia!- Musical in London vorbereitet wurde, schaute ich mir die ersten Proben an und muss gestehen, dass die mich ratlos zurückließen. Was bitte sollte das denn sein? Der Sound war zwar gut, die Sänger auch – so etwas kann ich beurteilen. Aber die Geschichte hat mich verwirrt: Was hat unsere Musik bitte mit einem Mädchen zu tun, das in Griechenland versucht, herauszufinden, wer von drei Typen sein Vater sein könnte? Glauben Sie mir, das hat auch andere der Beteiligten vor Rätsel gestellt! Aber das letzte Wort hat immer das Publikum. Und genauso kam es: Das Publikum war begeistert, also waren wir es dann auch. So einfach ist das.
ZEIT: In zwei Jahren soll es eine virtuelle Abba-Tour geben. Hologramme von Ihnen und den anderen werden, begleitet von einer Live-Band, die alten Hits runterleiern. Ist das die endgültige Absage an eine echte Rückkehr auf die Bühne?
Andersson: Das haben wir doch alles hinter uns. Und mal ehrlich: Wie aufregend können vier Senioren in ihren Siebzigern auf einer Bühne sein? Wenn sie Sachen aufwärmen, die bald ein halbes Jahrhundert alt sind? Aber ich verstehe die Frage sogar, wir könnten es ja theoretisch, wir leben ja alle vier noch. (er klopft auf den Holztisch)
ZEIT: Stimmt eigentlich die Geschichte, dass man Sie mit etwas Glück in der Bar eines Hotels in Stockholm erleben kann, wo Sie am Klavier sitzen und alte Volkslieder für die verblüfften Gäste spielen?
Andersson: Das stimmt, mir macht das Spaß. Und keiner kann es mir verbieten, denn das Hotel gehört mir! Ich habe mir lieber ein Hotel gekauft, statt in den Hotels anderer die Zimmer zu demolieren.
Benny Andersson: Piano
(Deutsche Grammophon/Universal)
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Benny Andersson: “El público tiene la última palabra”
Benny Andersson se hizo mundialmente famoso con Abba. Hoy en día toca a veces para los huéspedes de su hotel. Una conversación sobre la despedida.
DIE ZEIT: Señor Andersson, por mucho que investigue, no encontrará ningún escándalo en la carrera del grupo Abba. ¿Nunca has destrozado una habitación de hotel y has tenido orgías de drogas? ¿O simplemente no te atraparon?
Benny Andersson: No, realmente no hicimos nada. Los cuatro llevábamos una vida completamente normal. Íbamos a trabajar por la mañana, escribíamos música, la grabábamos en el estudio y por la noche cuidábamos de nuestras familias. No te encontrarás con ningún escándalo de Abba, lo siento.
ZEIT: Ahora tienes setenta años. ¿Sigues trabajando tan disciplinadamente como entonces?
Andersson: Sí, voy a mi oficina en Estocolmo todos los días, donde me ocupo de mis asuntos de diez a cinco durante la semana. Además de eso, también intento escribir música todos los días; sólo salgo a caminar cuando me da vueltas la cabeza. Luego vuelvo a la oficina y regreso a casa puntualmente a las 5 p. m., luego llega la hora de trabajar. Como en aquel entonces.
ZEIT: ¿Qué grandes canciones de Abba te vinieron a la mente después del trabajo?
Andersson: Ni uno solo, así no es como trabajo. Nunca, realmente nunca, una canción pasó por mi cabeza en medio de la noche o mientras estaba afuera con el perro. Las melodías no caen simplemente en mi regazo. Tengo que tocar, tocar, tocar buscando música fresca. La mayoría de las veces produzco mucha basura de esta manera, pero a veces hay algo útil. Tengo esta confianza básica: surgirá algo que me gustará si tengo paciencia. Entonces esto puede ser sólo un fragmento. Pero a menudo es suficiente para seguir construyendo.
ZEIT: ¿Es cierto que nunca has recibido clases de música y eres autodidacta?
Anderson: Sí. A veces extraño este conocimiento básico. No podía sentarme al piano con la partitura de Clair de Lune de Debussy y tocar exactamente lo que dice. Podría tocarlo de oído de alguna manera, pero nunca haría justicia al complejo original. Pero me siento demasiado mayor para volver a aprender lo básico. Simplemente ya no tengo suficiente tiempo para eso.
ZEIT: Al parecer también has perdido interés por la música pop...
Andersson: ¡No es cierto! Acabo de ir a un concierto de Justin Bieber con mis dos nietas.
TIEMPO: Ah. ¿Cómo reaccionaron los fans de Bieber?
Andersson: Allí nadie me reconoció. Todos tenían entre nueve y dieciséis años. ¿Cómo me conocerían? Y si me hubieran reconocido, probablemente no les habría importado. Con Justin Bieber, yo era solo un abuelo con nietos.
ZEIT: ¿Te gustó el concierto?
Andersson: ¡Realmente me gustó mucho! Me sorprendió mucho que Justin Bieber sea un músico tan competente. Sabe cantar, toca muy bien la guitarra y también es impresionante con la batería. No lo habría adivinado. Claramente no es un personaje inventado por la industria.
ZEIT: Pero parece que su fama le afecta cada vez más. A menudo parece que no le gusta ser una figura pública.
Andersson: Lo cual puedo entender. Todavía es muy joven y está completamente solo, lo que hace que el trabajo sea mucho más agotador. Sólo puede hablar de cómo es realmente estar en este papel con muy pocas personas que realmente tengan una idea de lo que está experimentando. Siempre estuve feliz de ser parte de una banda. Éramos cuatro y dentro de este cuarteto estaban las mujeres Frida y Agnetha, eran los rostros de Abba. Tuvieron que cantar las canciones y la multitud los miraba fijamente. Björn y yo nos quedamos en las sombras. En cambio, éramos responsables de la música. Todavía veo esto como una división justa del trabajo.